Der Beginn der Automatisierung bei E. T. A. Hoffmann.

Von Ralph Crimmann

Das Thema verlangt zunächst einige Klarstellungen. Die Automatisierung hat längst vor Hoffmann begonnen, und zwar in besonderem Maß im 18. Jahrhundert.

Hoffmann selbst blickt bereits auf die Automatisierung zurück. Er lebte von 1776 bis 1822 und gehört zu den bekanntesten Romantikern. Diese waren eigentlich mehr am Phänomen des Galvanismus interessiert, also an den elektrischen Strömen, die die Muskeln bewegen konnten. Hierin sahen die Romantiker die Einheit von Körper und Seele gegeben. Die Elektrizität schien dem Körper und dem Geist inne zu wohnen. Die Vorstellung ging dann soweit, dass man meinte, mit der äußeren Elektrizität die innere Elektrizität bewegen zu können und so auch Leichen wieder zum Leben bringen zu können.

Das Automatenmotiv hingegen handelt mehr von der äußeren Mechanik bewegter materieller Teile. Das 18. Jahrhundert war geprägt von der mechanistischen Auffassung des Menschen. So schrieb der Arzt La Mettrie Mitte des 18. Jahrhunderts sein Buch „Der Mensch, eine Maschine“. (l’homme, la machine“). Der Fortschritt der Technik faszinierte die Menschen des 18. Jahrhunderts; die Dampfmaschine, der mechanische Webstuhl, die beginnende Industrialisierung in England schienen den Weg in die Zukunft zu weisen. Die Entwicklung der Feinmechanik brachte dann auch Musikautomaten hervor, so schuf etwa Joseph Gallmayr ein aufziehbares Trio aus zwei Geigern und einem Violoncellisten. Auch Hoffmann beschäftigte sich mit solchen Musikautomaten. Er hatte 1813 in Dresden einen mechanischen Trompeter, einen Flötenspieler und einen Klavierspieler gesehen. Aber schon zehn Jahre früher hat er sich mit dem Gedanken getragen, selbst einen Musikautomaten zu bauen.

Als Kapellmeister in Bamberg, später in Dresden und Leipzig, war er natürlich interessiert an dem Phänomen der Musikautomaten. Doch auch der schachspielende mechanische Türke hatte ihn interessiert. Johann Nepomuk Melzel hatte eine Puppe in türkischer Tracht, Wasserpfeife rauchend, konstruiert, die Schach spielen konnte. Der schachspielende Türke wurde als Automat präsentiert, der auf Jahrmärkten alle Gegner besiegen würde. Der Unterbau des Kastens war mit Spiegeln ausgestattet, so dass es schien, als wäre nur ein Räderwerk im Kasten. In Wirklichkeit saß ein Kleinwüchsiger darin, der auf die Züge der Schachgegner reagieren konnte. Er lenkte von unten her die türkische Puppe mit Schnüren. Melzel verdiente 30 Jahre sein Geld mit dem schachspielenden Türken. Einmal rief ein Zuschauer „Feuer“. Da rannte der Kleinwüchsige aus dem Kasten und Melzel war entlarvt. Der Automat hatte sich als getürkt erwiesen.

E.T.A Hoffmann nimmt diese schachspielenden Türken zum Vorbild, wenn er die Erzählung „Die Automate“ schreibt. Es geht darin allerdings nicht um einen türkischen Schachspieler, sondern um einen sprechenden und auf Fragen antwortenden Türken-Automaten. Man kann ihm Fragen stellen, auch über geheimnisvolle Verbindungen, Krankheiten und Wünsche. Ein Dichter erlebt das mit und sucht Aufklärung bei dem Konstrukteur des sprechenden Türken. Dieser Konstrukteur erklärt die geheimnisvollen Zusammenhänge von Sprache, Musik und Mechanik. Die Musik der Natur, das Rauschen der Blätter, das Gezwitscher der Vögel – all dies will er mechanisch nachahmen. Er hat auch einen ganzen Saal von Musikautomaten, die allesamt ein Konzert aufführen. Der Kritiker dieser mechanischen Künste ist ein gewisser Student Ludwig, der damit gar nichts anfangen kann. Er sagt: „Mir sind […] alle solche Figuren, die dem Menschen nicht sowohl nachgebildet sind, als das Menschliche nachäffen, diese wahren Standbilder eines lebendigen Todes oder eines toten Lebens, im höchsten Grade zuwider.“ (330, Wiss. Buchges.: Die Serapionsbrüder) In diesem Studenten Ludwig verkörpert sich auch Hoffmanns eigene Position. Er war einerseits fasziniert von den Musikautomaten, andererseits abgestoßen, weil eben das Geistige, die Seele darin fehlte.

Das Thema des sprechenden und singenden Automaten nimmt Hoffmann noch einmal auf in der Novelle „Der Sandmann“. Aus dem sprechenden Türken wird hier eine seufzende und singende Puppe namens Olimpia. Gebaut wurde sie von Professor Spalanzani, einem Physikprofessor als Konstrukteur des technischen Wunderwerks. Die Puppe hat ein Wachsgesicht, ist wie eine junge Dame gekleidet und trägt Tanzschuhe. Hoffmann lässt sie zur Projektionsfigur für den Dichter Nathanael werden. Dieser leidet unter einem Kindheitstrauma. Immer wenn er sich seiner Verlobten Clara nähert, schiebt sich die furchtbare Figur des Sandmanns zwischen seine Beziehung. Der Sandmann ist in der Novelle nicht das harmlose Sandmännchen, sondern eine böse Figur, die den Kindern, wenn sie nicht schlafen wollen, Sand in die Augen wirft, dann die Augen raubt und den eigenen Kindern zum Essen gibt. Außerdem ist der Sandmann für den kleinen Nathanael der böse Mann, der mit dem Vater alchemistische Experimente im Keller macht. Bei einem dieser Experimente kommt der Vater ums Leben. Nathanael leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Er fühlt sich von seiner Verlobten nicht verstanden, als er ihr seine Erzählungen vorliest. Darin kommt der Sandmann in Gestalt des Coppelius vor. Clara weist dies als überflüssige mystische Schwärmerei zurück. Sie fordert ihn auf, sein Werk zu verbrennen: „wirf das tolle – unsinnige – wahnsinnige Märchen ins Feuer.“ (Suhrkamp, 31) Da dreht Nathanael durch. Er schreit sie an: „Du lebloses, verdammtes Automat!“ (31 f). Schließlich will er den Bruder Claras zum Duell herausfordern. Doch Clara kann Nathanael noch einmal beruhigen.

Nun kommt die automatische Puppe Olimpia ins Spiel. Nathanael sieht diese Puppe im Fenster des Hauses gegenüber seiner Wohnung. Er projiziert alle seine Sehnsüchte in diese Puppe hinein. Schließlich wird er vom Konstrukteur dieser Puppe zu einer Party eingeladen. Er geht alleine hin. Olimpia tritt als mechanische Klavierspielerin und Sängerin auf. Der Automat gewinnt Gewalt über Nathanael, so dass er sich einbildet, sie spreche mit ihm. Er fordert sie zum Tanz auf und macht ihr einen Heiratsantrag. Alle anderen lachen versteckt, aber belustigt über den irren Nathanael; doch dieser zieht das mechanische Räderwerk der Puppe immer wieder auf um in immer neuen Liebesschwüren den anderen zu zeigen, wie empfindsam dieser Automat ist. Nur sein Freund Siegmund warnt ihn: „Sie könnte für schön gelten, wenn ihr Blick nicht so ganz ohne Lebensstrahl […] wäre. Ihr Schritt ist sonderbar abgemessen, jede Bewegung scheint durch den Gang eines aufgezogenen Räderwerks bedingt. Ihr Spiel, ihr Singen hat den unangenehm richtigen geistlosen Takt der singenden Maschine und eben so ist ihr Tanz. Uns ist diese Olimpia ganz unheimlich geworden…“ (41) Der Rest ist schnell zusammengefasst. Es gibt einen Kampf um die Olimpia, Nathanael versucht sie zu retten, doch dies misslingt. Er wird in die Psychiatrie verbracht. Daraus scheinbar geheilt entlassen, verspricht er Clara wieder die Ehe. Doch wieder schiebt sich das Kindheitstraume dazwischen. Er ist mit Clara auf einen Turm gestiegen und will von oben einen wandernden Busch mit dem Teleskop beobachten. Er richtet das Fernglas aber seitwärts und sieht Clara riesengroß. Da kommt wieder die Angst vor dem Sandmann über ihn. Er will Clara vom Turm hinunterstoßen, doch ihr Bruder rettet sie im letzten Augenblick. Schließlich stürzt sich Nathanael selbst in die Tiefe.

Ein trauriger Schluss, wenn nicht noch angehängt wäre, dass Clara einen anderen heiratet, zwei schöne Knaben hat, die in einem Garten spielen! Das Schicksal des in einen klavierspielenden, singenden und tanzenden Automaten verliebten Menschen wirkt jedoch noch intensiver auf dem Hintergrund der Familienidylle. Hoffmann wollte warnen vor den sinnlosen Hoffnungen, die auf Automaten projiziert werden. Heutzutage ist wieder eine gewisse Euphorie mit Automaten und Robotern verbunden. Ich nenne drei Beispiele:

1.Der Hotelroboter. Wer will sich schon von einem geistlosen Roboter in der Hotelrezeption empfangen lassen. Es fehlen die Herzlichkeit und menschliche Wärme bei solchen Gestalten.

2.Autopiloten als Taxifahrer. Gerade wenn man in ein anderes Land kommt, ist es schön, wenn man mit einem Taxifahrer sprechen kann. Er erzählt dann etwas von den neuesten Waldbränden, wie es uns in Tivoli bei Rom ergangen ist, aber auch von der Geschichte der Stadt.

3.Roboter im Krankenhaus. Es mag schön sein, wenn frühmorgens auf der Krankenstation die Tür aufgeht und der Roboter einem „Guten Morgen“ wünscht. Besser als nichts. Wenn dann der Roboter seine eiskalte Hand auf meinen Arm legt, ist es nicht mehr weit bis zum Exitus.

Ein Vortrag bei den Saurüsselphilosophen von Ralph Crimmann, 1949 geboren, studierte Philosophie, Theologie und Germanistik. Er ist Lehrer für Deutsch, Evangelische Religionslehre und Philosophie. Gleichzeitig auch Zweitprüfer für Philosophie an der Ludwigs-Maximilians-Universität München.

 

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