Sokrates:
Guten Morgen, Kleon.
Du siehst nachdenklich aus.
Was bedrückt dich?
Kleon:
Ich habe mit meinem Vater gestritten.
Er warf mir vor, keine Werte zu haben.
Aber ich weiß gar nicht genau,
was Werte eigentlich sind.
Sokrates:
Dann war der Streit vielleicht hilfreich.
Denn wie kann man etwas haben,
dessen Wesen man nicht kennt?
Kleon:
Ich dachte, Werte sind Dinge,
die einem wichtig sind –
wie Freiheit oder Gerechtigkeit.
Sokrates:
Also Überzeugungen über das,
was zählt im Leben?
Kleon:
Ja. So würde ich es sagen.
Sokrates:
Und ist alles gut,
was jemand wichtig findet?
Kleon:
Nicht unbedingt.
Manche verehren nur Reichtum.
Aber das macht sie nicht besser.
Sokrates:
Dann ist nicht alles,
was einer für einen Wert hält,
auch wirklich ein Wert?
Kleon:
Wahrscheinlich nicht.
Sokrates:
Wie erkennen wir dann
einen echten Wert?
Kleon:
Vielleicht daran,
dass er dem Leben dient?
Sokrates:
Dem guten Leben?
Kleon:
Ja – also Glück,
Tugend,
Gemeinschaft.
Sokrates:
Dann sind Werte das,
was ein gutes Leben möglich macht?
Kleon:
So scheint es.
Sokrates:
Und gelten sie für alle Menschen gleich?
Oder hat jeder seine eigenen?
Kleon:
Ich denke, die Grundwerte sind ähnlich.
Aber wie man sie lebt,
ist verschieden.
Sokrates:
Dann sind Werte mehr
als bloße Meinungen?
Kleon:
Ja.
Sie haben Gültigkeit –
über mich hinaus.
Sokrates:
Dann hast du vielleicht nicht keine Werte,
sondern suchst noch ihre klare Gestalt.
Kleon:
Das will ich weiter tun.
Vielleicht mit dir?
Sokrates:
Solange ich fragen kann,
frage ich mit dir.
Denn das Fragen selbst
gehört zu den höchsten Werten.
Welche Werte meinst du? Materielle und äußere, die sichtbar sind?
Oder innere, persönliche oder geistige, die zunächst unsichtbar sind?
Man kann sie nur an den Taten erkennen.
Es sind nützliche Eigenschaften oder Fähigkeiten und es liegt an Dir,
ob Du sie nutzt. Nur das macht sie wertvoll.
Hat man sie oder sind sie angeboren? Je nachdem.
Wenn Du eine große Erbschaft machst oder im Lotto gewinnst, hast Du Glück.
Wenn Du in eine demokratische Gesellschaft hineingeboren wirst,
bekommst Du einige Werte geschenkt. Wie z.B. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.
Du darfst sogar deine Meinung sagen. Ja sogar philosophieren.
Einige bekommst Du sogar von Natur aus mit.
Dass Du ein soziales Wesen bist, das entscheidungsfähig ist, das nach Entfaltung strebt.
Andere bringen Dir deine Eltern bei, wie z.B. Liebe, Verständnis, Geduld, Ausdauer, Fleiß, Sicherheit, Geborgenheit, Ehrlichkeit, Zugehörigkeit, Treue, Toleranz.
Menschen, die diese Eigenschaften erlernt haben, nennt man tugendsam.
Wenn du jedoch Pech hast, werden Dir diese Talente abgewöhnt.
Wenn sie in die Tat umgesetzt werden, kann daraus Kultur werden.
Als Landwirtschaft, als Kunst, als Musik, als Malerei und vieles mehr.
Den modernen Wert eines Volkes nennt man heute Bruttosozialprodukt.
Da werden sogar Mängel und Schäden beim Ergebnis mitgezählt.
Damit hast Du einen Überblick über viele, mögliche Werte.
Ob du sie erlernst und anwendest, ist Deine Entscheidung.
Dein eigenes Wohlbefinden ist eng damit verknüpft.
BLEIBENDE WERTE? Beim Wort „Wert“ denke ich unwillkürlich an einen Nugget Zahngold, den mir mein Zahnarzt Opa früh im Leben als „bleibenden Wert“ vermachte. Später an Frederik Vesters Fenster-Buch „Der Wert eines Vogels“, das ich nach dem Studium Anfang der 1980er als angehende Umweltpsychologin und Pädagogin bei einem Seminar mit dem Meister und Vordenker des vernetzten Denkens, Frederic Vester, entsetzt in Händen hielt. An die Summe in DM kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich wollte nicht glauben, dass man etwas von für mich unschätzbarem Wert mit Zahlen versah und mit Nützlichkeiten – um damit vermeintlich sein Überleben zu sichern. Es schien mir total unzulässig, hier Materielles und Immaterielles in Verbindung zu bringen, ja zu verwechseln. Ein Vogel war mehr als fliegende Materie. Und auch der Zweck schien mir nicht die Mittel zu heiligen.
Vester musste sich kritischen Fragen und Einwänden stellen. Seine Antwort: Die Menschen würden die Sprache des Geldes am besten verstehen, viel besser als so etwas wie Natur und Artenvielfalt. Dies schien mir eine unzulässige Unterstellung und Verallgemeinerung und letztlich eine Kapitulation vor den Möglichkeiten einer Pädagogik, die daran glaubte, mittels Entdecken, Hinterfragen, Informationen, Fakten aber auch Werteerziehung, Menschen sensibilisieren und zum Handeln bewegen zu können. Leider fragte ich Vester damals nicht, wie sich das gar bei Ideellem wie Friede, Freiheit oder Gerechtigkeit verhielt. Ob er da auch ein Fenster-Bilderbuch in Planung hätte. Der Wert von Freiheit in DM?
Die Sehnsucht nach „bleibenden Werten“ blieb, nach „Nuggets“ im doppelten Sinne. Und eine Sehnsucht, die gleichen ideellen Werte zu teilen als ein gemeinsames Fundament. Denn wenn Meine, Deine, Unsere und Eure Werte sich gar zu weit voneinander entfernen oder verwässern – in einer Welt, die durch Globalisierung immer kleiner wurde, dann sind Spannungen spürbar und scheinen Konflikte unvermeidbar. Und fehlen Antworten, dann helfen -vielleicht – Fragen?