Wovon lebt der Dichter, wovon der Verdichter?

Der Dichter möchte die Welt
einfangen, wie sie ist.
Als Bild.
Jedes niedergeschriebene Wort
ist für ihn ein kleines
Gefängnis, das den Reichtum der
Welt ausschließt.
Deshalb feilt er an seinen Worten
wie der Ausbrecher am Schloss.
Der Verdichter empfindet die Welt
als Chaos, das es zu bändigen gilt.
Er unterwirft ihre vielen Details
einer Kategorie und wirft
sie begeistert in das
Gefängnis eines Begriffs.
Der Dichter will
die Welt mit uns versöhnen.
Der Verdichter
sie unterwerfen.
Der Dichter lebt langsam.
Der Verdichter schnell.
Es ist also keine Überraschung,
dass wir eine Welt der Verdichter sind.

Anmerkung:
Die Diskussion um Dichter und Verdichter
reagiert auf eine Aufführung unseres
Stammtisch- Freundes Fritz Gebhardt-Seele
gestern Abend auf
der Bühne der Amadeus Stub’n.
Er hat uns das 1-Personen-Stück
4 Temperamente vorgespielt
(frisch, lustig, kraftvoll,
er ist ja auch erst 89).
Die Temperamenten-Lehre geht auf
Galenos von Pergamon zurück,
der die Natur des Menschen
auf 4 Temperamente verdichtet
und sie in 4 Begriffe bringt.
Den heißblütigen Choleriker.
Den trübsinnigen Melancholiker.
Den trägen Phlegmatiker.
Den frohsinnigen Sanguiniker.
Damit wäre die Welt
in 10 Sekunden beschrieben.
Aber zur Wiederherstellung des
Dichterrufs.
Erst das Stück 4 Temperamente
hat das Pauschale
der Kategorie wieder in das Nahbare
des Erlebens gebracht.
Und das hat auch nur 30 Minuten
gedauert.

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